Energy

Warum ein europäisches Gasembargo die Preise tatsächlich senken könnte

By

Matthias Martensen

26.7.2022

A clock icon

3

Min.

Es ist so weit – Russland drosselt die Gaslieferungen nach Europa über die Nord Stream 1-Pipeline erneut auf nur noch 20 %. Eine weitere Turbine muss überraschenderweise gewartet werden. Dem Kreml blieb laut eigenen Aussagen daher nichts anderes übrig, als die Lieferungen zu drosseln, während gleichzeitig notwendige Unterlagen fehlen, um eine weitere Turbine wieder in Betrieb zu nehmen. Nach dieser Ankündigung stiegen die Gas- und Strompreise an den Energiebörsen auf ein ähnliches Niveau wie Mitte Juli und damit einhergehend auch die Gewinne von Gazprom. Dies zeigt, dass der Markt bereits mit einem Szenario ohne russisches Gas plant.

Russland schlägt Profit auf Kosten Europas

Bisher war Europa und insbesondere Deutschland, gegen ein Gasembargo, da die vorherrschende Meinung war, dass ein solcher Schritt der deutschen Wirtschaft mehr schaden würde als der russischen Wirtschaft. Aber ist dies angesichts der neuen Schritte des Kremls noch zutreffend?

Die große Unsicherheit in Bezug auf die Gaslieferungen ließ die Gaspreise und damit auch die Strompreise erheblich steigen. Die höheren Preise bedeuten höhere Gewinne für Russland oder zumindest gleiche Einnahmen bei geringerem Angebot. Das führt wiederum dazu, dass es für Russland keine nennenswerten finanziellen Konsequenzen zur Folge hat. Gleichzeitig sehen wir, wie die höheren Preise der deutschen Industrie schaden. Dennoch konnte festgestellt werden, dass sich Verbraucher:innen und Unternehmen bereits angepasst haben: Deutschland verbrauchte 14 % weniger Gas als zuvor, und Europa kündigte weitere Schritte an, noch weniger Gas zu verbrauchen. Auch wenn dieser Blog keine (volks-)wirtschaftliche Analyse darstellt, könnten Deutschland und Europa ein Gasembargo in die Tat umsetzen. Bereits 5 Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) sind in Planung und neue Lieferanten werden aufgebaut (Nigeria & Ägypten, weitere werden folgen).

Es bleibt also offen, warum Europa jetzt nicht noch strengere Maßnahmen setzt und Russland den einzigen strategischen Hebel aus der Hand nimmt.

Progression of gas prices in Europe.

Gaspreise in 2022. Jede Preisspitze wird durch unsichere Lieferprognosen verursacht. Daten von ZEIT und Verivox.

Die Welt steigt auf Elektro um

Der Trend war auch schon vor 2022 eindeutig. Deutschland und Europa stiegen auf Elektro um. Die aktuelle Situation könnte diesen Trends noch weiter beschleunigen:

Gas wurde als wichtigste Übergangstechnologie angesehen, aber trotz der Bemühungen, neue Gasbezugsquellen und andere Technologien wie Wasserstoff zu finden, wird dies nur begrenzt möglich sein.

Ein klarer Gasausstieg würde die Energiewende nur beschleunigen. Außerdem würde ein klares Ende dazu beitragen, die Energiepreise auf einem höheren, nachhaltigen Niveau zu stabilisieren (wahrscheinlich nach einem anfänglichen Preisschock), denn die Märkte hassen Unsicherheit.

Was nun nötig ist

Ein Gasembargo in Verbindung mit Preisobergrenzen für russische Rohstoffe für den verbleibenden Zeitraum wird die Hebelwirkung zu Europas Gunsten verändern – weg von der Furcht vor Russlands Handlungen, damit Europa seinen eigenen Weg gehen kann.

Die Märkte haben das begrenzte Gasangebot bereits eingepreist. Ein vollständiger Stopp würde Stabilität zurückbringen und die Unsicherheit für die nächsten Monate und Jahre verringern. Gleichzeitig würde Russlands einziger starker Industrie erheblicher Schaden zugefügt werden. Eine Wende im russisch-ukrainischen Krieg sowie eine Beschleunigung der Energiewende wären ebenfalls Folgen.

Die deutsche und europäische Energiewirtschaft kann sich auf ein solches Szenario einstellen (und hat sich bereits darauf eingestellt). Natürlich wird der Anpassungsprozess schmerzhaft sein und es könnte staatlicher Regulierung bedürfen, etwa durch Steuersenkungen oder Umverteilung. In jedem Fall wird dadurch die Unsicherheit aus der Gleichung genommen und Klarheit wird geschaffen. Diese Krise könnte dann als Wendepunkt für weitreichende infrastrukturelle Veränderungen in Erinnerung bleiben, die früher oder später ohnehin als Teil der elektrischen Transformation zur Bekämpfung des Klimawandels erforderlich sein wird.